Natur- und sozialwissenschaftliche Analysen anthropogen bedingter Mortalitätsfaktoren und deren Einfluss auf die Überlebenswahrscheinlichkeit des Luchses (Lynx lynx) : Natural and social scientific analyses of anthropogenic mortality factors affecting the survival of Lynx (Lynx lynx)

Die Rückkehr Großer Beutegreifer in die dicht besiedelte Kulturlandschaft Mitteleuropas stellt eine große Herausforderung für das Wildtiermanagement dar. Vor allem beim Aufbau neuer Populationen über Zuwanderung oder aktive Wiederansiedelung spielen anthropogen bedingte Mortalitätsfaktoren wie z.B....

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Bibliographic Details
Main Author: No Name Supplied
Format: Article in Journal/Newspaper
Language:German
Published: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 2012
Subjects:
630
Sog
Online Access:https://dx.doi.org/10.6094/unifr/8707
https://freidok.uni-freiburg.de/data/8707
Description
Summary:Die Rückkehr Großer Beutegreifer in die dicht besiedelte Kulturlandschaft Mitteleuropas stellt eine große Herausforderung für das Wildtiermanagement dar. Vor allem beim Aufbau neuer Populationen über Zuwanderung oder aktive Wiederansiedelung spielen anthropogen bedingte Mortalitätsfaktoren wie z.B. Wildunfälle oder illegale Abschüsse eine große Rolle. In dieser interdisziplinär angelegten Arbeit wurde untersucht, welches die Schlüsselfaktoren für ein langfristig erfolgreiches Management des Luchses (Lynx lynx) in der Kulturlandschaft Mitteleuropas sind. Naturwissenschaftliche Analysen wurden am Beispiel des Luchserwartungslandes Baden-Württemberg (BW) und der grenznahen Luchspopulation im Schweizer Jura durchgeführt. Sozialwissenschaftliche Analysen bezogen sich auf ganz Deutschland. Durch eine logistische Regression mit Telemetriedaten aus der Schweiz, konnten elf habitatbezogene Variablen identifiziert werden, die einen signifikanten Einfluss auf die bevorzugte Raumnutzung der Tiere haben. Neben der Hangneigung und der anthropogenen Landnutzung leisten insbesondere die Exposition sowie der Abstand zu Straßen einen besonders wichtigen Erklärungsbeitrag. Die Übertragung der Ergebnisse auf BW ergab, dass 10% der Landesfläche mit den geeigneten Flächen im Schweizer Jura vergleichbar sind, die Raum für über 100 residente Tiere bieten. Schwerpunkte liegen im Schwarzwald und auf der Schwäbischen Alb. Zur Untersuchung des Risikopotentials von Straßenabschnitten wurde die Lage von 39 Verkehrskollisionen mit Luchsen in der Schweiz mittels einer logistischen Regression ausgewertet. Signifikante Erklärungsbeiträge lieferten die Straßenkategorie, die Habitateignung für Luchse im Umfeld von 400 Metern sowie die Distanz des Straßenabschnittes zu Siedlungen. Aufbauend auf diesen erarbeiteten Grundlagen wurden anhand eines räumlich expliziten, individuenbasierten Populationsmodells für BW die Wahrscheinlichkeit einer Besiedlung durch natürliche Zuwanderung unter verschiedenen Annahmen der illegalen Mortalität von Luchsen simuliert. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich durch natürliche Zuwanderung aus dem Schweizer Jura in den nächsten 50 Jahren eine Population in BW etabliert, lag unter der Annahme einer moderaten illegalen Mortalität bei 36%. Unter der Annahme einer vierfach erhöhten illegalen Mortalität lag sie bei 1,5%. In weiteren Szenarien wurde für eine potentiell etablierte Population in BW untersucht, wie sich die Reduktion der illegalen Mortalität auf die Überlebensfähigkeit der Population auswirkt. Es zeigten sich signifikante Unterschiede in Abhängigkeit der Raumkulisse auf der die Reduktion stattfand. Die höchste Überlebensrate wurde bei Reduktion der illegalen Mortalität in Regionen erreicht, die eine besonders hohe Habitateignung aufwiesen bzw. häufig von Modell-Luchsen frequentiert wurden. Für die sozialwissenschaftliche Analyse der Hintergründe illegaler Abschüsse von Luchsen durch einzelne Jäger in Deutschland wurde auf ein Erklärungsmodell aus der Rechtssoziologie zurückgegriffen, welches die Bereitschaft zu illegalen Handlungen in Abhängigkeit von verschiedenen handlungsrelevanten Variablen beschreibt. Die postulierten Zusammenhänge wurden unter Berücksichtigung der Theorie des rationalen Handelns auf den Fall des illegalen Abschusses eines Luchses auf Plausibilität geprüft und das Modell durch zusätzliche Variablen ergänzt. Grundlage hierfür lieferten eine Literaturanalyse und Presserecherche sowie eigene Beobachtungen des Autors aus der Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren aus Jagd, Landwirtschaft und Naturschutz. Anhand der Analyse konnte ein komplexes Wirkungsgefüge aufgezeigt werden. Als besonders relevant für die Reduktion der Bereitschaft zu illegalen Abschüssen wurden als sog. Entwicklungsvariablen der Grad der normativen Abweichung der Eigengruppe der Jäger, die Luchsdichte, die Wertschätzung der Beutegreifer durch die Jäger, die von den Jägern perzipierte Kompetenz des Gesetzgebers, der Handlungsspielraum der Jagd, die gesellschaftliche Wertschätzung der Jagd, die Qualität der Gruppeninteraktion zwischen Jagd und Naturschutz sowie die wildbiologische Fachkenntnis von Jägern und Naturschützern identifiziert. Die Zusammenführung der natur- und sozialwissenschaftlichen Analysen zeigte die hohe Relevanz des gewählten interdisziplinären Forschungsansatzes für die Sicherung der Überlebensfähigkeit einer Luchspopulation auf. Einerseits kann auf Grundlage der Habitateignung und des Populationsmodells die Priorisierung von Flächen vorgenommen werden, welche für die Überlebensfähigkeit der Luchse von besonderer Relevanz sind. Andererseits können anhand der Entwicklungsvariablen konkrete Maßnahmen definiert werden, durch welche die Bereitschaft zum illegalen Abschuss reduziert werden kann. Dadurch ist eine ökologische und ökonomische Optimierung des Luchsmanagement möglich, die auch im Vorfeld einer aktiven Wiederansiedlung von Bedeutung ist, um die Chance auf Erfolg der Ansiedlung zu erhöhen.