Hummer mal anders: Grabungsfund einer Hummerschere aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts als Hinweis auf mittelalterliche Nutzung des Hummers als Delikatesse?

Dem Marktflecken Greifswald wird 1250 von Wartislaw III. von Pommern (1210-1264) das Lübecker Stadtrecht verliehen (PUB 514). Die Fischereigerechtigkeit erhalten die Greifswalder Fischer um etwa 1270 von Herzog Barnim I. (1210-1278). Sie erstreckt sich von der Spandowerhagener Wiek bis zur Peene und...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Samariter, R., Harzsch, S., Schmalenbach, Isabel, Kaute, P.
Format: Conference Object
Language:English
Published: 2013
Subjects:
940
Online Access:https://www.amad.org/jspui/handle/123456789/68504
http://epic.awi.de/32646/
id ftamad:oai:www.amad.org:123456789/68504
record_format openpolar
institution Open Polar
collection AMAD - "Archivum Medii Aevi Digitale - Specialized open access repository for research in the middle ages"
op_collection_id ftamad
language English
topic 940
spellingShingle 940
Samariter, R.
Harzsch, S.
Schmalenbach, Isabel
Kaute, P.
Hummer mal anders: Grabungsfund einer Hummerschere aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts als Hinweis auf mittelalterliche Nutzung des Hummers als Delikatesse?
topic_facet 940
description Dem Marktflecken Greifswald wird 1250 von Wartislaw III. von Pommern (1210-1264) das Lübecker Stadtrecht verliehen (PUB 514). Die Fischereigerechtigkeit erhalten die Greifswalder Fischer um etwa 1270 von Herzog Barnim I. (1210-1278). Sie erstreckt sich von der Spandowerhagener Wiek bis zur Peene und von dort zum Ruden. Die Fischfangrechte für die Dänische Wiek besaßen die Greifswalder bereits (Dähnert, J. C. Pommersche Bibliothek, Bd. 4, 397). Im archäologischen Fundgut finden sich regelmäßig Hinweise auf Fischfang und Konsum in Form von Angelhaken, Netzschwimmern, -senkern, Netzflickern, Fischskeletten, Muschel- und Austernschalen, Krebstiere dagegen sind extrem selten. Bei archäologischen Untersuchungen des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern wurde 2012 in der Greifswalder Altstadt ein aus Eichenholz gezimmerter 2,20 m x 2,30 m großer Brunnen entdeckt. Seine Sohle lag bei 0,70 m unter HN und reichte damit in den Grundwasserspiegel. Er wurde 1261 (oder kurz danach) angelegt (dendrochronologische Untersuchung Dr. K.-U. Heußner, Deutsches Archäologisches Institut Berlin) und nur kurz als Brunnen genutzt. Bereits um 1280 ist er aufgegeben und mit Lehm, Sand und Mist verfüllt worden. Aus der Verfüllung stammt der bemerkenswerte Fund einer Hummerschere, genauer des Propodus der Chela. Morphologisch lässt sich diese Schere mit großer Wahrscheinlichkeit dem Europäischen Hummer (Homarus gammarus) zuordnen (Abb. 4), wobei eine Zugehörigkeit zum Amerikanischen Hummer (Homarus americanus) nicht ausgeschlossen werden kann, da es sich hier nur um ein Bruchstück handelt. Eine Identifizierung der Art und Population ist in erster Linie nur molekulargenetisch möglich (Triantafyllidis et al. 2005. Mar. Biol. 146:223-235). Das ca. 7 cm lange Fundstück hat eine rote Farbe wie sie sowohl bei gekochten Hummern aber auch bei Exuvien und gealterten Panzern von toten Tieren auftritt. Zur Zeit der Hanse wurden Güter im Ostseeraum überwiegend auf dem Seewege transportiert. Zieht man das heutige Verbreitungsgebiet des Europäischen Hummers in Betracht, kommen als Greifswald am nächsten gelegene Fanggebiete Skagerak, Kattegat und die schwedische Westküste bis an den Norden des Öresundes heran in Betracht (Dybern B. I. 1973. Helgoländer. Wiss. Meeresunters. 24:401-414). Sollte der Fang dann tatsächlich in Greifswald als Delikatesse angeboten worden sein, muss man für den Transportweg der lebenden Tiere auf dem Schiff mindestens 300 km veranschlagen. Die Hummerüberreste könnten nach dem Konsum des Tieres einfach in dem Brunnen „entsorgt“ worden sein. Bereits 1280 (Kattinger D. 2000, Greifswald Geschichte der Stadt. 39) besaß die Hansestadt Greifswald Heringsvitten (also Heringsanlade- und handelsplätze) auf Skanör und Falsterbo. Der Transport lebender Hummer von den Vitten nach Greifswald war wesentlich aufwendiger und damit auch kostspieliger als der von Heringen, die mit Salz konserviert und in Tonnen per Schiff verhandelt wurden. In dem wohl bekanntesten römischen Kochbuch, im Kochbuch des Apicius, werden Gerichte mit Meereskrebsen wie Taschenkrebsen, anderen Krabben, Meeresspinnen, Garnelen, und Langusten aufgeführt. In mittelalterlichen Kochbüchern hingegen werden meist nur unspezifisch „Krebse“ erwähnt, vermutlich als Oberbegriff für Krustentiere, die nicht weiter differenziert wurden. In den Tacuinum Sanitatis Handschriften finden sich mehrfach Abbildungen zum Verzehr von Krustentieren, bei denen meist ein Diener anwesend ist - ein Hinweis auf die gehobene Stellung der Genießer. Dass Krustentiere selten bei Ausgrabungen gefunden werden, mag auch der Verwendung des Panzers geschuldet sein, zu dem es in den Handschriften heißt: ".wenn man aus ihnen und ihren Schalen Asche macht und sie ißt, oder mit Enzian gemischt trinkt, so ist das gut gegen den Biß eines tollwütigen Hundes." (Laurioux B. 1999, Tafelfreuden im Mittelalter, 79).
format Conference Object
author Samariter, R.
Harzsch, S.
Schmalenbach, Isabel
Kaute, P.
author_facet Samariter, R.
Harzsch, S.
Schmalenbach, Isabel
Kaute, P.
author_sort Samariter, R.
title Hummer mal anders: Grabungsfund einer Hummerschere aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts als Hinweis auf mittelalterliche Nutzung des Hummers als Delikatesse?
title_short Hummer mal anders: Grabungsfund einer Hummerschere aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts als Hinweis auf mittelalterliche Nutzung des Hummers als Delikatesse?
title_full Hummer mal anders: Grabungsfund einer Hummerschere aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts als Hinweis auf mittelalterliche Nutzung des Hummers als Delikatesse?
title_fullStr Hummer mal anders: Grabungsfund einer Hummerschere aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts als Hinweis auf mittelalterliche Nutzung des Hummers als Delikatesse?
title_full_unstemmed Hummer mal anders: Grabungsfund einer Hummerschere aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts als Hinweis auf mittelalterliche Nutzung des Hummers als Delikatesse?
title_sort hummer mal anders: grabungsfund einer hummerschere aus der 2. hälfte des 13. jahrhunderts als hinweis auf mittelalterliche nutzung des hummers als delikatesse?
publishDate 2013
url https://www.amad.org/jspui/handle/123456789/68504
http://epic.awi.de/32646/
long_lat ENVELOPE(167.217,167.217,-77.483,-77.483)
ENVELOPE(-50.100,-50.100,-83.283,-83.283)
ENVELOPE(9.692,9.692,63.563,63.563)
ENVELOPE(6.716,6.716,62.864,62.864)
ENVELOPE(15.850,15.850,69.100,69.100)
geographic Fang
Hummer
Kattegat
Krabben
Vitten
geographic_facet Fang
Hummer
Kattegat
Krabben
Vitten
genre Homarus gammarus
genre_facet Homarus gammarus
op_relation http://epic.awi.de/32646/
https://www.amad.org/jspui/handle/123456789/68504
_version_ 1766024730749435904
spelling ftamad:oai:www.amad.org:123456789/68504 2023-05-15T16:34:45+02:00 Hummer mal anders: Grabungsfund einer Hummerschere aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts als Hinweis auf mittelalterliche Nutzung des Hummers als Delikatesse? Samariter, R. Harzsch, S. Schmalenbach, Isabel Kaute, P. 2013-03-15 application/pdf https://www.amad.org/jspui/handle/123456789/68504 http://epic.awi.de/32646/ eng eng http://epic.awi.de/32646/ https://www.amad.org/jspui/handle/123456789/68504 940 NonPeerReviewed Conference 2013 ftamad 2021-09-30T20:23:23Z Dem Marktflecken Greifswald wird 1250 von Wartislaw III. von Pommern (1210-1264) das Lübecker Stadtrecht verliehen (PUB 514). Die Fischereigerechtigkeit erhalten die Greifswalder Fischer um etwa 1270 von Herzog Barnim I. (1210-1278). Sie erstreckt sich von der Spandowerhagener Wiek bis zur Peene und von dort zum Ruden. Die Fischfangrechte für die Dänische Wiek besaßen die Greifswalder bereits (Dähnert, J. C. Pommersche Bibliothek, Bd. 4, 397). Im archäologischen Fundgut finden sich regelmäßig Hinweise auf Fischfang und Konsum in Form von Angelhaken, Netzschwimmern, -senkern, Netzflickern, Fischskeletten, Muschel- und Austernschalen, Krebstiere dagegen sind extrem selten. Bei archäologischen Untersuchungen des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern wurde 2012 in der Greifswalder Altstadt ein aus Eichenholz gezimmerter 2,20 m x 2,30 m großer Brunnen entdeckt. Seine Sohle lag bei 0,70 m unter HN und reichte damit in den Grundwasserspiegel. Er wurde 1261 (oder kurz danach) angelegt (dendrochronologische Untersuchung Dr. K.-U. Heußner, Deutsches Archäologisches Institut Berlin) und nur kurz als Brunnen genutzt. Bereits um 1280 ist er aufgegeben und mit Lehm, Sand und Mist verfüllt worden. Aus der Verfüllung stammt der bemerkenswerte Fund einer Hummerschere, genauer des Propodus der Chela. Morphologisch lässt sich diese Schere mit großer Wahrscheinlichkeit dem Europäischen Hummer (Homarus gammarus) zuordnen (Abb. 4), wobei eine Zugehörigkeit zum Amerikanischen Hummer (Homarus americanus) nicht ausgeschlossen werden kann, da es sich hier nur um ein Bruchstück handelt. Eine Identifizierung der Art und Population ist in erster Linie nur molekulargenetisch möglich (Triantafyllidis et al. 2005. Mar. Biol. 146:223-235). Das ca. 7 cm lange Fundstück hat eine rote Farbe wie sie sowohl bei gekochten Hummern aber auch bei Exuvien und gealterten Panzern von toten Tieren auftritt. Zur Zeit der Hanse wurden Güter im Ostseeraum überwiegend auf dem Seewege transportiert. Zieht man das heutige Verbreitungsgebiet des Europäischen Hummers in Betracht, kommen als Greifswald am nächsten gelegene Fanggebiete Skagerak, Kattegat und die schwedische Westküste bis an den Norden des Öresundes heran in Betracht (Dybern B. I. 1973. Helgoländer. Wiss. Meeresunters. 24:401-414). Sollte der Fang dann tatsächlich in Greifswald als Delikatesse angeboten worden sein, muss man für den Transportweg der lebenden Tiere auf dem Schiff mindestens 300 km veranschlagen. Die Hummerüberreste könnten nach dem Konsum des Tieres einfach in dem Brunnen „entsorgt“ worden sein. Bereits 1280 (Kattinger D. 2000, Greifswald Geschichte der Stadt. 39) besaß die Hansestadt Greifswald Heringsvitten (also Heringsanlade- und handelsplätze) auf Skanör und Falsterbo. Der Transport lebender Hummer von den Vitten nach Greifswald war wesentlich aufwendiger und damit auch kostspieliger als der von Heringen, die mit Salz konserviert und in Tonnen per Schiff verhandelt wurden. In dem wohl bekanntesten römischen Kochbuch, im Kochbuch des Apicius, werden Gerichte mit Meereskrebsen wie Taschenkrebsen, anderen Krabben, Meeresspinnen, Garnelen, und Langusten aufgeführt. In mittelalterlichen Kochbüchern hingegen werden meist nur unspezifisch „Krebse“ erwähnt, vermutlich als Oberbegriff für Krustentiere, die nicht weiter differenziert wurden. In den Tacuinum Sanitatis Handschriften finden sich mehrfach Abbildungen zum Verzehr von Krustentieren, bei denen meist ein Diener anwesend ist - ein Hinweis auf die gehobene Stellung der Genießer. Dass Krustentiere selten bei Ausgrabungen gefunden werden, mag auch der Verwendung des Panzers geschuldet sein, zu dem es in den Handschriften heißt: ".wenn man aus ihnen und ihren Schalen Asche macht und sie ißt, oder mit Enzian gemischt trinkt, so ist das gut gegen den Biß eines tollwütigen Hundes." (Laurioux B. 1999, Tafelfreuden im Mittelalter, 79). Conference Object Homarus gammarus AMAD - "Archivum Medii Aevi Digitale - Specialized open access repository for research in the middle ages" Fang ENVELOPE(167.217,167.217,-77.483,-77.483) Hummer ENVELOPE(-50.100,-50.100,-83.283,-83.283) Kattegat ENVELOPE(9.692,9.692,63.563,63.563) Krabben ENVELOPE(6.716,6.716,62.864,62.864) Vitten ENVELOPE(15.850,15.850,69.100,69.100)